Theater und Kulturhallen: Bauten der Griechen für kultische Festveranstaltungen

Theater und Kulturhallen: Bauten der Griechen für kultische Festveranstaltungen
Theater und Kulturhallen: Bauten der Griechen für kultische Festveranstaltungen
 
Neben den Tempeln gehören die Theater zu den unverwechselbaren Kennzeichen der griechischen Baukunst. Kern der Anlage ist jeweils eine kreisrunde Fläche. Ihm sind auf der einen Seite die konzentrisch übereinander angeordneten Sitzreihen angefügt. Sie gewinnen ihre Höhe aus der geschickten Nutzung ansteigender Hänge. Gegenüber der Cavea, den Zuschauerrängen, hat das Bühnengebäude seinen Platz. Zwischen beiden Bauelementen führen von der Seite her zwei Zugänge in das Zentrum.
 
Unter den durch Ausgrabungen wieder freigelegten griechischen Theatern vermittelt das gut restaurierte Theater in Epidauros den besten Eindruck dieses Bautypus. Es wurde im ausgehenden 4. Jahrhundert v. Chr. errichtet, als das Kultfest der erst einhundert Jahre zuvor gegründeten, rasch aufblühenden Heilstätte des Asklepios immer mehr Menschen anzog. Dargeboten wurden hier übrigens in erster Linie Gesangswettbewerbe. Epidauros kann sich rühmen, Standort des eindrucksvollsten Theaters zu sein, die langwierige Entwicklung des griechischen Theaterbaus lässt sich hier freilich nicht studieren. Dazu müssen wir uns nach Athen und dessen Umland begeben.
 
Ein entscheidender Wegbereiter des griechischen Theaterwesens war ein Mann namens Thespis aus dem Ort Ikaria, östlich von Athen an den Hängen des Pentelikon gelegen. Seine Requisiten auf einem Karren mit sich führend, zog er im frühen 6. Jahrhundert v. Chr. durch das attische Land und bot anlässlich der Feste zu Ehren des Dionysos seine Aufführungen dar.
 
Als Spielfläche benötigten Thespis und seine Gefährten einen länglichen Freiraum, der von einer Scherwand hinterfangen war, hinter der Requisiten und die Schauspieler vor ihren Auftritten den Blicken der Zuschauer entzogen werden konnten. All dies konnte aus einfachen Gestängen jeweils für den Augenblick der Aufführungen errichtet werden. Lag die Spielfäche zu Füßen eines ansteigenden Hanges, erübrigten sich alle Vorkehrungen für die Platzierung der Zuschauer.
 
Diese ältesten Spielstätten haben keine Spuren hinterlassen. Dort aber, wo sie früh schon in Stein umgesetzt wurden, ist die den natürlichen Gegebenheiten angepasste Grundform unschwer wiederzuerkennen. Im südattischen Ort Thorikos hat das Theater eine völlig unregelmäßige trapezförmige Grundform. Die Steinsitze griffen die von der Natur vorgegebene Geländesituation auf. Nirgendwo ist die unmittelbare Verbindung von Theaterspiel und Dionysoskult so anschaulich nachzuvollziehen wie hier: die Schauspieler agieren in der Zone zwischen dem Altar und dem Tempel des Dionysos. Dionysos, der Gott des Weinbaus, hat seine Kultstätten folgerichtig in ländlicher Umgebung. So ist es kein Zufall, dass die frühen Theateranlagen außerhalb der größeren Siedlungen liegen, wie zum Beispiel in Thorikos oder auch in Ikaria und Rhamnus an der Küste nordöstlich von Athen.
 
Athen selbst hat erst in der Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. einen innerstädtischen Kultplatz des Dionysos erhalten. Der damalige Herrscher Peisistratos hatte einen am Nordwesten Attikas gelegenen Kult künstlich in die Stadt verpflanzt und ihm am Südhang der Akropolis eine bleibende Stätte geschaffen. Erstmals erhielt Athen damit auch eine Theateranlage. Ihre Form entsprach weitgehend der trapezoiden Gestalt des Theaters von Thorikos. Das Aussehen eines »typischen« griechischen Theaters erhielt die athenische Spielstätte erst in der Mitte des 4. Jahrhunderts, als es Mode geworden war, das Theater von einem kreisrunden Kern aus zu konzipieren. Dieser Baugedanke ist auf dem griechischen Festland erstmals in der zentralpeloponnesischen Stadt Megalopolis verwirklicht worden. Megalopolis ist eine auf dem Reißbrett geplante Stadt. Gegründet wurde sie 371 v. Chr. Diese Metropole sollte das westliche Arkadien zu einem Einheitsstaat zusammenführen, um damit der alten Vormachtstellung Spartas Widerpart zu bieten. Bei der Planung der Stadt ging man davon aus, dass sie die Bewohner von 40 arkadischen Orten aufnehmen sollte. Es wurde deshalb in den größten Dimensionen gedacht und gebaut. Mit seiner Kapazität von 20 000 Plätzen ist das Theater ohne Vergleich. Doch nicht nur in Bezug auf die Größe setzten die Architekten neue Maßstäbe. Ohne auf ältere Bauten Rücksicht nehmen zu müssen, waren sie in ihrem Entwurf völlig frei. Sie vollzogen als erste den Schritt von der unregelmäßigen Naturform zur klaren geometrischen Gestalt des Kreises und den konzentrisch angeordneten Sitzreihen. Es mag sein, dass sie sich dabei von verwandten Formen in den unteritalischen Kolonien haben inspirieren lassen. In Metapont zum Beispiel gab es bereits seit der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. eine Theateranlage, der ein gleichförmiger, wenn auch ovaler Grundriss zugrunde lag. Die Bauidee des von einem Vollkreis ausgehenden Theaters ist nach dem Vorbild von Megalopolis zunächst bei dem Umbau des Dionysostheaters in Athen und dann bei dem Neubau des Theaters in Epidauros aufgegriffen worden.
 
Neben dem Theater hat die griechische Architektur einen weiteren Bautypus hervorgebracht, der eine große Menschenansammlung aufzunehmen vermochte. Es sind quadratische oder rechteckige geschlossene Säle. Ihre Verwendung konnte ganz unterschiedlichen Charakter haben. Für den Vollzug des Mysterienkultes in Eleusis zum Beispiel benötigte man einen allseitig geschlossenen Raum, der verdunkelt werden konnte. Bereits für das 6. Jahrhundert v. Chr. ist dort eine entsprechende Anlage belegt, im 5. Jahrhundert v. Chr. wurde das Telesterion von Eleusis erheblich erweitert. In Athen war Bedarf für einen geschützten Saal mit guter Akustik für die Darbietungen der Sänger und Musiker bei den panathenäischen Wettkämpfen. Unbeeinträchtigt von dem umgebenden Straßenlärm mussten in allen Städten die Ratsversammlungen vonstatten gehen können. Seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. sind allenthalben solche Versammlungshallen bezeugt, allerdings wurde das Buleuterion auch für kulturelle Veranstalungen genutzt. Die Spannweiten der Decken wurden - wohl nach dem Vorbild von Zelten - von Innensäulen unterfangen.
 
Prof. Dr. Ulrich Sinn
 
 
Studien zur Bühnendichtung und zum Theaterbau der Antike, bearbeitet von Egert Pöhlmann. Mit Beiträgen von Robert Bees u. a. Frankfurt am Main u. a. 1995.

Universal-Lexikon. 2012.

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